In Graz und weiteren Ballungsräumen drohen ab Herbst großflächige
Fahrverbote. Die Begründung: Feinstaub. Die Grundlage: das neue
"Umweltpickerl". Die Folgen: eine massive Entwertung älterer
Fahrzeuge sowie wirtschaftliche Einbußen in den betroffenen
Sperrgebieten.
Graz hat ein Problem. In der steirischen Landeshauptstadt werden seit
Jahren deutlich höhere Feinstaubbelastungen gemessen als anderswo.
Die (je nach Partikelgröße und Dosierung) Atemwegsbeschwerden und
Asthmaanfälle auslösenden, wohl aber auch krebserregenden Teilchen
halten sich im windstillen Murtal besonders hartnäckig. Infolge
dessen werden die gesetzlichen Grenzwerte massiv überschritten: In
Graz gab es bis Mitte April bereits 32 Tage, an denen die
Konzentration von Partikeln unter 10 Mikrometern Durchmesser über dem
Maximalwert von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft lag. Im gesamten
Jahr 2011 waren es 76 Tage -erlaubt wären höchstens 25. Dass etwas
geschehen muss, steht daher allseits außer Zweifel. Doch die Art und
Weise der politischen Reaktion löst heftige Kontroversen aus.
Kennzeichnung als Basis
Klar ist bisher, dass auf Druck des Umweltministeriums am 1.
September die
"Immissionsschutzgesetz-Luft-Abgasklassen-Kennzeichnungsverordnung"
in Kraft treten wird. Hinter dem sperrigen Namen stecken fünf
unterschiedlich gefärbte Pickerl, die den Emissionsklassen Euro1 bis
Euro5 entsprechen und an der Windschutzscheibe aller mehrspurigen
Kraftfahrzeuge anzubringen sind. Die Plaketten sind nicht prinzipiell
verpflichtend -sehr wohl aber sind sie erforderlich, wenn man in eine
"Umweltzone" einfahren will. Welche Region dazu ernannt wird, ist
Sache der Landeshauptleute: Sie definieren auch, ab wann die Einfahrt
komplett verboten ist. Den Anfang macht Graz: Stadt-und
Landesregierung haben bereits angekündigt, dass möglichst rasch
Fahrverbote eingeführt werden sollen. "Das war hoch an der Zeit,
damit vor allem im Raum Graz die Feinstaubbelastung eingedämmt werden
kann", lobt Umweltminister Dr. Nikolaus Berlakovich. Betroffen sind
jedenfalls Benzinfahrzeuge ohne Katalysator sowie Diesel der
Abgasklassen Euro1 und Euro2, eventuell aber auch Autos der Klassen
Euro3 und Euro4 -also Fahrzeuge, die bis Ende 2005 (Euro3)
beziehungsweise Ende 2010 als Neufahrzeuge verkauft wurden! Noch
abstruser erscheint das Vorhaben, wenn man sich vor Augen hält, dass
die steirische Landesregierung bis vor Kurzem die Nachrüstung von
Dieselpartikelfiltern finanziell gefördert hat. Doch auch diese
Fahrzeuge wären von den Fahrverboten betroffen!
"Kalte Enteignung der Bürger"
Kein Wunder, dass in den vergangenen Wochen ein Sturm des Protests
losgebrochen ist. Harsche Kritik kommt beispielsweise von Klaus
Edelsbrunner, dem steirischen Landesgremialobmann des
Fahrzeughandels: "Die ,Umweltzone" bedeutet nichts weniger als eine
kalte Enteignung der Bürgerinnen und Bürger, deren Fahrzeuge
plötzlich dramatisch an Wert verlieren -und das weit über das
unmittelbare Grazer Stadtgebiet hinaus!"
Er steht Seite an Seite mit anderen Wirtschaftsvertretern, aber auch
mit den Autofahrerklubs. "Wir nutzen alle Möglichkeiten für unsere
Mitglieder aus, um statt dieses Schildbürgerstreichs nachhaltige
Lösungen zu finden", sagt beispielsweise Hans Marcher,
Landesgeschäftsführer des ARBÖ. Er hat eine Unterschriftenaktion neu
gestartet, mit der bereits vor einigen Jahren gegen eventuelle
Fahrverbote protestiert worden war. Über 16.000
Unterstützungserklärungen gibt es mittlerweile, mindestens 20.000
sollen es in den nächsten Wochen werden.
Parallel lässt der ARBÖ eine Sammelklage prüfen. Die sektoralen
Fahrverbote könnten verfassungswidrig sein, lautet die Argumentation.
Kommt die Klage zustande, könnten sich die Wirtschaftskammer und
weitere Betroffene ihr anschließen.
Kaum Feinstaub von Autos
Dass der Rechtsweg zum Ziel führt, ist freilich alles andere als
sicher. In Deutschland gibt es bereits 43 Umweltzonen -allen dortigen
Protesten zum Trotz. Das deutsche Beispiel zeigt aber auch, dass sich
die Feinstaubbelastung in den betroffenen Gebieten kaum verändert
hat. Kein Wunder: Laut Untersuchungen der ÖAMTC Akademie aus dem Jahr
2010 sind Personenkraftwagen nur für 5,2 Prozent aller
Feinstaubemissionen verantwortlich. Die größten Emittenten sind
dagegen Kleinverbraucher, also beispielsweise Heizungen und Kamine in
Privathäusern, und die Industrie.
Hinzu kommt, dass die Feinstaubemissionen der
Diesel-Personenkraftwagen seit Jahrzehnten zurückgehen. Gegenüber
1985 gab es gar eine Reduktion um 99 Prozent, und die Grenzwerte
werden immer strenger. "Seit der Einführung der Abgasklasse Euro5
sind beispielsweise Dieselpartikelfilter in jedem Neuwagen
verpflichtend", sagt Mag. Martin Hoffer, Leiter der
ÖAMTC-Rechtsabteilung: "Man müsste also annehmen, dass die Zeit der
Fahrverbote vorüber sei."
"Große soziale Kollateralschäden"
Doch ganz im Gegenteil, inÖsterreich scheint es erst richtig los zu
gehen: Auch Linzer Stadtpolitiker haben an einem sektoralen
Fahrverbot Gefallen gefunden, in Wien und weiteren Ballungsräumen
mehren sich ähnliche Stimmen. "In Wahrheit sind diese Fahrverbote
überhastete Maßnahmen ohne positive umwelttechnische Wirkung,doch
mit großen sozialen Kollateralschäden", hält Hoffer dagegen.
Schließlich wären Pendler und sozial schwächere Menschen von den
Umweltzonen besonders betroffen.
Für die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Umweltzonen gibt es
sogar konkrete Berechnungen: Allein in Graz würden laut einer Studie
von Joanneum Research rund 1.500 Arbeitsplätze und 430 Millionen Euro
innerstädtischer Umsatz verloren gehen. Noch gar nicht berücksichtigt
sind darin die Wertverluste für Privatpersonen und Firmen, die neue
Fahrzeuge benötigen würden, um in das Stadtzentrum einfahren zu
können. Ein hoher Preis für die von den Studienautoren
prognostizierte Feinstaubreduktion um lediglich 1,26 Prozent.
Viele offene Fragen
Hinzu kommt eine weitere offene Frage: Wie wirdüberhaupt
festgestellt, welcher Abgasnorm ein Fahrzeug entspricht? "Im
Gegensatz zu Deutschland sind in den österreichischen
Zulassungsscheinen keine entsprechenden Daten eingetragen", sagt
Hoffer.
Die Bundesinnung der Kfz-Techniker wurde bisher laut eigenem Bekunden
"überhaupt nicht informiert", obwohl ihre Mitglieder die
"Abgaspickerl" ausstellen sollen. Auch deren Kosten sind offen: Der
vom Umweltministerium genannte Betrag von 2,50 Euro deckt nur die
Produktionskosten, nicht aber allfällige Datenrecherchen oder
Abgasanalysen. "Das ist eine völlig unausgegorene Hau-Ruck-Aktion",
empört sich daher Innungsmeister Friedrich Nagl.
Unterm Strich bleibt die Erkenntnis, dass Pkw-Fahrverbote die
Partikelemissionen kaum beeinflussen werden. Regionen wie Graz dürfen
sich dafür künftig auf drei Probleme statt einem großen einstellen:
Massive wirtschaftliche Schäden sowie verwirrte (und potenziell
abgestrafte) Autofahrer kommen hinzu, die Feinstaubbelastung bleibt.