Die Probleme des Verkehrs der Gegenwart und Zukunft werden in den
großen Städten zuerst gelöst werden müssen. ÖAMTC Verbandsdirektor
Oliver Schmerold kritisierte bei der FLEET Convention nicht nur, was
in der Verkehrspolitik derzeit falsch läuft, sondern diskutierte auch
am Podium darüber, wie sie in Zukunft gelingen kann.
Wwer die aktuelle Berichterstattung rund um die Wiener
Verkehrspolitik verfolgt, liest viel von den neuen "Heilsbringern"
der urbanen Mobilität: Neben den öffentlichen Verkehrsmitteln zählen
dazu das Fahrrad und - mittlerweile in etwas abgeschwächter Euphorie
- neue Formen wie Carsharing oder Elektromobilität. Oliver Schmerold,
Verbandsdirektor des ÖAMTC, hält nicht viel von dieser Hierarchie. In
seinem Vortrag bei der FLEET Convention formuliert er provokant:
"Wien hat per se keinen zu hohen Autoanteil!"
Städte wachsen - Verkehrspolitik ist gefordert
Untermauert wird diese Zahl durch einen Modal-Split-Vergleich, also
jener Statistik, welche die Nutzung der unterschiedlichen
Verkehrsträger miteinander vergleicht. In Wien liegt der Autoanteil
derzeit bei 27 Prozent -die Stadtregierung möchte diesen Anteil in
den kommenden Jahren auf 20 Prozent drücken. In Kopenhagen, das oft
als Paradebeispiel für gute Verkehrspolitik genannt wird, liegt der
Autoanteil aber bei 33 Prozent.
Und Schmerold geht noch weiter. Seine Wahrnehmung: "In Wien wird der
motorisierte Individualverkehr behindert, um den Leuten die Lust
daran zu verderben", und zwar aus rein politischen Motiven. Dabei sei
es viel sinnvoller, den innerstädtischen Verkehr zu verflüssigen,
etwa durch das Wiedereinführen der "grünen Welle" oder
Zuflusskontrolle an den Stadteinfahrten, zum Beispiel durch gezielte
Tempolimits. Und dass die Verkehrsprobleme in den großen Städten
gelöst werden müssen, daran lässt der ÖAMTC-Chef keinen Zweifel. Er
zitiert Studien, denen zufolge 2050 beinahe drei Viertel aller
Menschen in großen urbanen Räumen leben werden, in Österreich
erwartet man für die drei Regionen rund um Wien, Graz und Innsbruck
starkes Bevölkerungswachstum. Die Pendler kommen von immer weiter
her, über Stadt-,Landes- und sogar Staatsgrenzen hinweg. "Pendeln
hält sich nicht an administrative oder politische Grenzen",
konstatiert Schmerold.
Keine klaren Bekenntnisse
Und es gibt Alternativen,über die man in Wien derzeit noch nicht
verfügt. Ein interessantes städtisches Verkehrsmittel, das derzeit
vor allem in Südamerikas Metropolen immer beliebter wird, ist ein
Produkt, bei dem Österreich einen signifikanten Heimvorteil
mitbringt: die Seilbahn. Des weiteren schlägt Schmerold vor,"mobility as a service"-Lösungen wie etwa Carsharing oder autonome
Fahrzeuge zu nutzen. Letztere sorgen durch automatisches Parken auch
für eine effizientere Raumnutzung in der Stadt. In der an seinen
Vortrag anschließenden Podiumsdiskussion, an der auch die Wiener
Unternehmerin Komm.-Rat Doris Felber sowie der Fahrradbeauftragte der
Mobilitätsagentur Wien, Martin Blum, teilnahmen, legte Schmerold dann
noch ein Schäufelchen nach. "Es gibt in der Wiener Stadtpolitik eine
Abneigung gegen den motorisierten Individualverkehr, zu der sich die
Stadt jedoch nicht offen bekennt," kritisierte er.Stattdessen
schiebe man Klimaziele vor. "Wenn Wien die Pariser Klimaziele
erreichen will, warum schafft man dann nicht E-Busse an, sondern neue
Dieselbusse?" Darüber hinaus weigere sich Wien, E-Mobilität oder
Carsharing zu fördern, die man vor ein paar Jahren noch als
Allheilmittel gefeiert habe.
Wiener Lieferverkehr Heute und Morgen
Probleme praktischer Art nannte Bäckerei-Besitzerin Doris Felber,
deren Lieferanten sich tagtäglich am Rande der Straßenverkehrsordnung
bewegen, um ihre Waren anliefern zu können. "Die Probleme in Wien
betreffen das ordnungsgemäße Stehenbleiben noch viel mehr als das
Fahren", so Felber, die sich als Mutter auch über schlechte
Verbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln an der Stadtgrenze
beklagt. Vorwürfe, die der Wiener Fahrradbeauftragte Martin Blum
naturgemäß nicht so ohne weiteres auf der Stadt sitzen lässt.
Befürchtungen, dass Fahrverbote für Lieferanten angedacht seien,
erteilt er eine Absage - erwähnt jedoch gleichzeitig den hohen
Praxisnutzen von Lastenfahrrädern im dichten Stadtgebiet.
Fahrräder auch aus wirtschaftlichen Gründen
"Ich weiß von einem Essen-auf -Rädern-Dienstleister, der durch die
Umstellung auf solche Lastenräder 20 Prozent der Wegzeiten einspart
und diese Fahrräder keineswegs aus ökologischen, sondern primär aus
wirtschaftlichen Gesichtspunkten einsetzt", so Blum. Ein Viertel der
Zustellfahrten könne laut einer Studie mit solchen Rädern erledigt
werden, was zusammen mit den definiertenQuotenzielen der Stadt einen
wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten könne: 80 Prozent der Wege
sollen die Wiener künftig mit Öffis, dem Fahrrad oder zu Fuß
zurücklegen. Bei den beiden letzteren handle es sich im Übrigen auch
um höchst individuelle Formen des Verkehrs, konterte der
Fahrradbeauftragte auf die Vorwürfe Schmerolds. Der ÖAMTC
Verbandsdirektor nutzte in der Podiumsdiskussion nochmals die
Gelegenheit, zum wiederholten Male die Wiener Parkraumorganisation zu
kritisieren und das vom ÖAMTC propagierte Zonenmodell ins Spiel zu
bringen und schloss mit der Forderung nach Konsens und Vernunft: Es
brauche einen pragmatischen statt eines dogmatischen Zugangs.
Verkehrspolitik könne nur in einem sinnvollen Miteinander aller
existierenden und eventuell in Zukunft eingesetzten Verkehrsträger
gelingen. "Das Ziel ist, die Mobilität aller Stadtbewohner zu
erhalten."