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Die Stadt am Kanal

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VW hustet kräftiger denn je, die Folgen sind nicht absehbar. Und doch gibt es Beispiele, was passieren könnte.

Es war sonnenklar, dass diese kleine Indiskretion, das Durchsickern der Pläne von Werksschließungen, zu Streiks führen würde. Und zwar zu gewaltigen. Für viele Arbeiter handelte es sich schließlich um IHR Werk. Das sie nach dem Krieg wieder aufbauten. In das sie mehr Zeit steckten als nur die Normarbeitszeit. Das die Stadt drumherum nährte und die an ihm hing wie ein Motor am Sprittank: Raschelts dort einmal, gehen ganz schnell die Lichter aus. Dazu ist die Gewerkschaft in dieser Branche traditionell dick vertreten und gut vernetzt, sodass es nicht einmal eine Frage der Zeit war, bis die ersten Schichtdienstler auf die Straße gehen sollten. Und das aber nicht nur kurz.

Die Blockade der großen Brücke, einer der Lebensadern der Region, stieß nicht nur auf Wohlgefallen unter der Bevölkerung, es konnte aber jeder doch irgendwie nachvollziehen. Früh war klar, dass die Aktionen nicht nur ein paar Tage dauern sollten. Man möchte den Arbeitskampf bis zum bitteren Ende führen, die Werksschließung verhindern, auch wenn alle Zeichen dagegensprechen. Das letzte Wort hat schließlich nicht der Betriebsrat, auch nicht der Vorstand oder der Aufsichtsrat. Wo es langgeht, sagen die Aktionäre, sagt das Kapital, und was die von einem Verlustposten halten, kann sich jeder ganz leicht selbst ausmalen. Das Ende ist also schon vorprogrammiert gewesen, ehe die Streiks überhaupt erst losgingen, aber so funktioniert Wirtschaft nun einmal.

Schnell kommt einem beim Lesen dieser Zeilen natürlich Volkswagen und deren aktuelle Misere in den Sinn. Dabei liegt die grob umrissene Episode nun schon fast 40 Jahre zurück und spielte nicht in Wolfsburg, sondern in Duisburg-Rheinhausen. Das ehemalige Krupp-Stahlwerk musste nach zähen Verhandlungen und endlosen Straßenblockaden nämlich auch geschlossen werden. Die Solidarität seinerzeit war unter den Arbeitnehmern bemerkenswert. Die Pläne der Bosse, mit Thyssen zu fusionieren, aber schon lange unter Dach und Fach. Und wer heute in Duisburg über die Brücke der Solidarität Richtung Stadtteil Rheinhausen spaziert, bekommt nichts mehr mit vom ehemaligen Tempel der Schwerstarbeit.

Doch wollen wir jetzt nicht davon ausgehen, dass sich Geschichte wiederholt. Nur weil eine für Deutschland wichtige Branche in der Krise ist. Nur weil diese eine Firma eine ganze Region, ja beinahe ein ganzes Bundesland ernährt. Nur weil es im Endeffekt hie wie da um nackte Zahlen und beinharte Kosten/Nutzen-Rechnungen geht. Und nur weil seinerzeit schnell klar war, dass es nicht darum geht, die Werksschließung zu verhindern. Sondern nur mehr darum, zu verhandeln, wo die Arbeiter der Hütte im neuen Firmenkonglomerat untergebracht werden können. Und nur weil in Rheinhausen nichts, absolut nichts mehr vom ehemaligen Industriekoloss übrig ist. Ein Freihandelshafen kümmert sich jetzt dort um den günstigen Import von Waren aus Fernost.

Produziert wird hier aber schon lange nichts mehr, wobei – und das wäre für den Megaarbeitgeber Volkswagen vielleicht die schlimmste, die man aus dieser Geschichte lernen könnte – der harte Kern der Stahlindustrie, der im Ruhrpott übrig blieb, liefert absolute High Tech-Ware. Und er produziert dank modernster Technik fast genau so viel wie alle alten Hüttenkolosse zusammen, die mittlerweile verschwunden sind – mit einem Bruchteil an Arbeitern.

Der A&W-Verlag bildet ein breites Meinungsspektrum ab. Kommentare müssen nicht der Meinung des Verlages entsprechen.

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