CLASSIC

  • Motorline auf Facebook
  • Motorline auf Twitter

Wind der Freiheit

Was macht man nach dem Fall des Eisernen Vorhangs? Richtig, man baut einen Supersportwagen. Den Erfolg des MTX-Tatra V8 verhinderten ironischerweise typisch westliche Probleme.

Roland Scharf

Tatra zu erklären, würde den Rahmen des Internets sprengen. Eine Firma, die in den 1930ern Stromlinienlimousinen mit luftgekühltem Achtzylinder im Heck gebaut hat, kann man jedenfalls nicht als altmodisch einstufen, was sich zu Zeiten des Eisernen Vorhangs auch an Teilnahmen bei der Rallye Paris-Dakar zeigte, die man mit Prototypen-Lkw bestritt, die nichts ausließen, was gut und heftig war. Man war also eine solide Ingenieursfirma, aber weit entfernt von Dingen wie Sportwagen zum Beispiel. Cyril Svoboda dachte aber anders.

Der Rennfahrer aus der ehemaligen Tschechoslowakei leitete in den 1980ern das Rettungsteam für die Formel-1-Rennen auf dem Hungaroring, und natürlich setzte er als Rettungswagen Tatras ein. Gerne hätte er auch ein Safety Car dieser Marke verwendet, aber damals aktuelle 623 als große Limousine war dafür nicht so wirklich passend. Aber es gab da ja noch Václav Král. Der renommierte Designer war von der Idee Svobodas, ein eigenes Sportauto zu kreieren, sofort begeistert, und gemeinsam machten sie sich an das Projekt, das zu Beginn noch den Namen „Supertatra“ trug.

Die Optik war noch das Leichteste. Král hielt sich eng an die typischen Linien der Zeit, als alles flacher und flundiger wurde. Motorsport war für Svoboda indes ein großer Einflussfaktor, also baute man typische Gruppe C-Elemente ebenso mit ein. Man entfernte sich also relativ rasch von der klassischen Heckflossen-Optik, die die großen Tatras fast alle trugen, und 1991 feierte man das Debüt des MTX-Tatra auf der Prager Automobilausstellung. Als Motor griff man natürlich auf den V8 vom Tatra 623 zurück, der aufgrund der beengten Platzverhältnisse quasi auf der Hinterachse saß, die Kraftübertragung somit etwas mühsam über eine Umlenkung realisiert werden musste.

Der Beiname „MTX“ ist übrigens eine Anlehnung an den Erbauer des Rohrrahmens – Metalex, die seinerzeit in der Rennsportszene kein unbeschriebenes Blatt waren und sich mit derlei Rahmenkonstruktionen also durchaus gut auskannten. Entsprechend war die technische Auslegung für ein Straßenauto aber auch ziemlich gewagt, um nicht zu sagen – etwas zu radikal. Vor allem, weil man nach wie vor auf die für Tatra typische Pendelhinterachse vertraute, die für den ungeübten Fahrer durchaus tückisch werden konnte. Damals war man aber noch eher der Ansicht, dass sich bitte nur jemand diese Autos kaufen sollte, der auch weiß, was er tut. Und wenn der Initiator ein Rennfahrer ist, dann darf das Fahrverhalten ruhig ein wenig fordernd sein.

Der Fairness halber muss dazugesagt werden: Überbordend stark und gefährlich war der MTX in seiner kurzen Laufbahn eh nie. Die erste Version hatte einen ziemlich serienmäßigen Motor im Heck mit Vergasern und rund 218 PS, was seinerzeit schon nicht mehr die Welt war. Immerhin schaffte es eine überarbeitete Variante dann auch 300 Pferde, nicht zuletzt dank mehr Hubraums und Einspritzung. Die 265 km/h Höchstgeschwindigkeit und knappe 5,6 Sekunden für den Sprint auf 100 km/h hörten sich schon mehr nach Superlative an. Dazu gab es diverse tschechische Geschwindigkeits- und Beschleunigungsrekorde, aufgestellt höchstpersönlich vom Metalex-Eigentümer, und die Ankündigung, rein von der Technik könne der Flachtatra die 300-km/h-Schallmauer knacken, wirkte wie ein Brandbeschleuniger für die offensichtlich zahlreicheren Interessenten, als man das jemals hätte glauben wollen. 200 Bestellungen sollen im Laufe der Entwicklung eingetrudelt sein, und eigentlich wäre es jetzt an der Zeit gewesen, sich ernsthaft mit der Serienproduktion auseinanderzusetzen. Und hier begannen auch die Probleme.

Metalex hatte nicht die finanziellen Mittel, um die Entwicklung voranzutreiben, also wollte man das Projekt an Tatra veräußern. Die hatten zu Beginn der 1990er aber ganz andere Sorgen, im neuen Gefüge Europas ihren Platz zu finden, und da standen die Zeichen ziemlich eindeutig auf Lkw. Das Pkw-Geschäft sollte künftig Skoda ganz alleine übernehmen. Was passierte also im Endeffekt? Vier Exemplare stampfte man in reiner Handarbeit aus dem Boden, ehe das Joint Venture an einen Geschäftsmann veräußert wurde – der Wind aus dem Westen wehte also schon spürbar durch die ehemalige Tschechoslowakei. Doch es sollte noch übler kommen.

Ehe auch nur ein Serienexemplar gebaut werden konnte, vernichtete blöderweise ein Feuer die gesamten Produktionsanlagen, womit das Thema MTX-Tatra eigentlich erledigt wäre. Aber nachdem sich wirklich niemand für den mageren Nachlass dieser Firma interessierte, nahmen die vier Prototypen interessante Wege. Fahrzeug Nummer 1 ist wohl das berühmteste, weil in knallrot lackiert und auf den meisten Prospektfotos zu sehen. Es blieb im Besitz von Metalex, eher die Firma selbst liquidiert und der Wagen an einen Privatmann veräußert wurde, der ihn heute noch besitzen soll.

Fahrzeug zwei, ebenfalls in rot gehalten, wurde tatsächlich verkauft, wobei die erste Tat des Eigentümers war, den Wagen in Perlmuttweiß umlackieren zu lassen. Dass dieser Wagen – wenn er denn mal wo aufgetaucht ist – irgendwie nicht mehr ganz original aussah, lag schlicht daran, dass der Eigner gleich am ersten Tag einen heftigen Unfall produzierte, weswegen man die Front ohnehin neu machen musste – also verpasste man dem Wagen gleich ein kleines Facelift. Ab dann sind die Spuren nicht mehr eindeutig. Man sagt, der Wagen sei dann irgendwann einmal abgestellt worden, ehe es um 2013 herum nach Tschechien reimportiert wurde, wo es heute noch irgendwo stehen soll.

Fahrzeug drei war schwarz und technisch wohl das ambitionierteste Exemplar. Es hatte einen 3,9 Liter großen Motor mit Einspritzung. Es soll an einen in Brünn lebenden Italiener gegangen sein, der damit regelmäßig nach Italien fuhr. Ob der Gentleman einen Tatra einem Ferrari vorzog, um nicht so oft liegenzubleiben, ist nicht überliefert. Genau das passierte ihm mit dem Supertatra aber dann regelmäßig, weswegen er irgendwann einmal keine Lust mehr auf die Flunder hatte und an ein Automuseum abtrat. Ob der MTX immer noch dort steht? Wenns stimmt, schon lange nicht mehr, aber immerhin feierte er seinen großen Auftritt in einem Musikvideo eines US-Rappers anno 2010.

Exemplar vier hatte keine Farbe. Es wurde als Bausatz und ohne Motor in die USA geschickt, wo der Wagen angeblich aber nie fertiggestellt wurde und Jahre später wieder zurück nach Europa verschifft worden sein. Ob das aber stimmt, bleibt wie so vieles eines der unbeantworteten Geschichten aus der großen Welt des Automobils.

News aus anderen Motorline-Channels:

Helden auf Rädern: MTX-Tatra V8

Weitere Artikel:

Die Rache der Kamele

Helden auf Rädern: Sabra Sussita

Wo vor rund 50 Jahren überall Autos gebaut wurden, ist in der zentralisierten Industrie der Moderne kaum vorstellbar. So gab es auch in Israel einst zivile Herstellung, wobei der Sabra streng genommen ein halber Brite war.

Trotz Wetterkapriolen auch heuer ein Highlight

Ennstal-Classic 2023: Die Zusammenfassung

Ein neues Reglement, das noch mehr Spannung versprach, ein Wiederholungssieger, mit dem zu rechnen war und Wetterkapriolen, die es den Teilnehmern schwer machten, erfolgreich durchzukommen. Das waren die Ingredienzien der 31. Auflage der Ennstal-Classic 2023.

Wenn zwei sich helfen

Helden auf Rädern: Renault Alliance

Optisch knapp am 9 dran, war der Renault Alliance nicht nur ein völlig anderes Auto. Eigentlich war er nicht einmal ein französisches. Und es rettete einen Konzern, wenn auch nur kurz.

Theorie und wilde Wahrheit

Video: Project Tawny, Teil 6

Heute ist der große Moment: Nach letzten Restarbeiten soll der Elan das erste Mal anspringen. Wie groß die Unterschiede zwischen Theorie und Praxis aber sein können, kam im Laufe der Startversuche immer mehr ans Tageslicht.

Die Ennstal-Classic 2023 ist entschieden

Ennstal-Classic 2023: Schlussbericht

Die Sieger der Ennstal-Classic 2023 heißen Helmut Schramke / Peter Umfahrer auf Jaguar XK150 von 1960, sie gewinnen nach 2003, 2006 und 2012 zum, vierten Mal. Auf Platz 2 landeten Sebastian Klackl und Nicola Kovacic-Klackl auf Mini 1000 MKII, Platz 3 erreichten Peter Schöggl und Wolfgang Artaker auf Alfa Romeo Spider Verloce 1750 von 1970.

Die Antwort vor der Frage

Helden auf Rädern: Citroën AX Electrique

Die Zeiten kleiner, leichter, leistbarer Elektroautos scheinen langsam erst wieder in Mode zu kommen. Dabei waren viele Firmen vor Jahrzehnten schon auf dem richtigen Weg. Leicht hatte es der Citroën AX Electrique trotzdem nicht.