Das Autojahr startete wie immer in Amerika. In Las Vegas gab man sich
hochtechnologisch, in Detroit machte die Industrie engstirnig auf
muskulös. Die beiden vollkommen verschiedenen Fahrzeug-Shows zeigen
die atemberaubende Bandbreite, die verschiedenste Nutzergruppen in
den Städten und auf dem Land heute weltweit erwartet.
Detroit Motor City.Über den Lake Michigan pfeift ein eisiger Wind.
Downtown verfällt, Backsteinhäuser mit zerborstenen Fensterscheiben
dominieren das Bild. Der unterhaltsamste Mann im hässlichen Cobo
Center, dem Veranstaltungsort der North American International Auto
Show, ist ein Deutscher mit immensem Schnauzbart und Cowboyhut. Im
Weißen Haus sitzt jemand, den die halbe Welt nicht mehr ernst nimmt.
Auf einem Stand prangt als Begrüßung der Besucher ein Spruch über
einem riesigen Pick-up-Truck: "Biggest Bolt in the Industry". Die
wichtigste Aussage über den Wagen ist also, dass in ihm die größten
Schrauben der Autoindustrie verbaut werden. America, great again?
Mitnichten. Die Szene stammt aus dem Jahr 2007, zwei Jahre, bevor
Barack Obama Präsident wurde. Sein Vorgänger hieß George W. Bush und
die größten Schrauben der Industrie steckten im F150-Pick-up-Truck
von Ford, dem meistverkauften Modell in God"s Own Country.
Wie sich die Zeiten dochähneln ...
Mehr als ein Jahrzehnt später, zu Jahresbeginn 2018, ist der
Amtsinhaber im Weißen Haus unberechenbarer denn je. Nicht so die
US-Autoindustrie. Pick-up-Trucks und mächtige Geländewagen dominieren
auch bis heuer das nicht schöner gewordene Cobo Center. Die
Innenstadt von Detroit ist nach wie vor eine Geisterstadt. Dieter
Zetsche, in der Szene oben der Mann mit dem Schnauzer, ist nicht mehr
Chrysler-Chef, sondern Herr über Daimler. Mit Arnold Schwarzenegger
präsentiert er den neuen Mercedes G. Die beiden lassen sich
fotografieren, während sie einen Schnaps trinken. Und auf dem Stand
von GM steht ein Silverado, Nummer zwei der Verkaufsstatistik in den
USA (Bild rechts unten). Donald Trumps Blech gewordener feuchter
Traum. Seine Leistung: Er ist 200 Kilogramm leichter als sein
Vorgänger. Der schwache 3,8 Tonnen wog. Aber im Design "more
muscular, more manly", wie ein GM-Manager betonte. In der
Eingangshallesteht ein Modell gleich mit einem Schneepflug vorn
montiert, "wie wenn er alle Leute gleich wieder hinauszuschieben"
scheine, schreibt die "Süddeutsche Zeitung". America, great again!
Die ganze Welt redet über Elektroautos und autonomes Fahren.
Angeblich. Die nach wie vor wichtigste US-Motorshowzeigt dicke
Trucks. Die Top 5 der meistverkauften Autos in den USA waren 2017 nur
SUV und Trucks. Die Marge liegt bei diesen metallenen
Machtdemonstrationen für den Hersteller mehr als das Dreifache über
dem, was er mit einem Kompaktauto mit Stufenheck verdient.
Zwei völlig konträre Events Eine Woche zuvor war noch Tech statt
Blech angesagt. Die Consumer Electronics Show (CES 2018) in Las Vegas
ist die Messe für Computerspiel-Nerds. Und wird von Jahr zu Jahr mehr
dafür genutzt, Technologielösungen und Konzeptautos herzuzeigen. Ein
spektakulärer Gegenpol zuden Monstertrucks von Detroit war etwa die
E-Palette von Toyota, ein Lieferwagen/Wohnzimmer, ein Glasquader auf
Rädern. "Das Geschäft kommt jetzt zu Ihnen", sagt eine
Toyota-Managerin und das besondere daran sei: "Niemand muss es zu
Ihnen fahren." Toyota betont, dass jede Firma, die diese E-Palette
irgendwann in der Zukunft einsetzen wolle, ihr eigenes autonomes
Fahrsystem implementieren könnte. Der Unterschied zu Detroit besteht
also nicht nur in Elektromotor versus Verbrenner, sondern auch darin,
dass die klassische Messe den Fahrer anspricht, die CES hingegen den
Mobilitätsnutzer. Es ist sinnbildlich: Die Lebensphilosophien der
Stadtbewohner und der Landbewohner werden sich noch weiter
auseinander entwickeln.
Die CES ist des Weiteren auch die Plattform für neue Automodelle,
teilweise real, teilweise frisch aus dem Wolkenkuckucksheim. "Die CES
mutiert langsam zur Las Vegas Auto Show", schreibt dazu auch die
Tech-Seite des US-Nachrichtensenders CBS, "CNet".
Fisker und Byton haben Tesla im Visier Ein Paar Beispiele: Der Däne
Henrik Fisker, Designer des BMW Z8 und des Aston Martin DB9, hat für
Las Vegas ein elektrisches Coupé gebaut, das nicht zwei Flügeltüren
hat so wie Teslas Modell S, sondern gleich vier. Tesla und Fisker
waren bereits einmal vor Gericht wegen angeblicher Industriespionage.
Die Dänen kündigten an, bis 2023 eine Feststoffbatterie auf den Markt
bringen zu wollen -Reichweiten von 800 Kilometern sollen damit
möglich sein. Die sogenannte Solid-State-Battery soll im Vergleich zu
den bisher gebräuchlichen Lithium-Ionen-Batterien eine 2,5 Mal so
hohe Energiedichte bieten. Oder: Byton aus China, konstruiert von
einer Reihe von abtrünnigen BMW-Technikern, will ebenfalls gegen
Tesla, aber vor allem auch gegen BMW, Mercedes, Audi und Porsche im
kommenden Markt der E-SUV reüssieren. Der erste Byton (Foto links
unten) soll bei den Einstiegspreisen Kampflinie fahren, 45.000 Dollar
seien angepeilt. Auffällig im Innenraum ist ein Touchscreen mit 1,25
Meter Breite. Ja, ein Meter und 25 Zentimeter. Laut einem
US-Techjournalisten von "The Verge" ersetzt er das klassische
Armaturenbrett und ist unterteilt in mehrere Bereiche. "Es ist
schwer, wegzusehen" - keine gute Voraussetzung für einen
Autoinnenraum, sollte man meinen. Zumindest so lang der Autopilot in
den 45.000 noch nicht enthalten ist.
VW kooperiert mit Nvidia VW-Markenchef Herbert Diess war auch auf der
CES. Mit nicht viel Neuem. Der neue Jetta, der in Europa gar nicht
mehr verkauft wird, wurde in Detroit hergezeigt. Aber er stand mit
einem auf und ab tänzelnden Jensen Huang auf der Bühne, dem Gründer
und CEO von Nvidia. Der kalifornische Konzern ist Weltmarktführer bei
Grafikprozessoren für Spielekonsolen.
Alle Autohersteller sind inzwischen auch Kunden. "To create new
cockpit environments and improve safety." Der Star der 2017er-CESübrigens, das Elektro-SUV Faraday FF91, ein Projekt des chinesischen
Internetmilliardärs Jia Yueting, wird immer noch nicht gebaut. Sein
Erfinder macht indessen Schlagzeilen damit, dass er den
Aufforderungen der chinesischen Wertpapierbehörden nicht nachkommt
und sich weigert, aus den USA nach China zu kommen, um die Schulden
seines Konzerns LeEco zu regulieren.
Amazons Echo kommt ins Auto Weiters neu auf der CES: Aptiv, der
jüngst abgespaltene Technologiearm von Delphi Automotive, zeigt
gemeinsam mit Uber-Konkurrenten Lyft ein selbstfahrendes Auto, einen
mit 20 Sensoren vollgepackten BMW 5. "Langweilig", urteilt CNET, "was
eine gute Nachricht ist." Hyundai zeigte den Nexo Fuel Cell EV, die
jüngste Generation des Brennstoffzellenantriebs der Koreaner. Kia
brachte das Elektro- Konzeptauto Niro. Zu sehen war auch ein weiterer
Megatrend, der seinen Weg ins Automobil findet, die moderne
Sprachsteuerung à la Echo im Wohnzimmer. Navigationskonzern Garmin
hat sich zu dem Behufe auch gleich mit Handelsriesen Amazon, demUnternehmen hinter der Echo-Sprachsteuerung (Schlüsselwort: "Alexa,
wie weit ist es bis Maria Alm? Alexa, wird es morgen dort schneien?")
zusammengetan und stellte auf der CES das System "Speak Plus" mit
damit verbundener Kamera vor (etwa für Kollisionswarnungen).
To Get the Job Done Die anfangs beschriebene Realität aus Detroit
spielte aber auch in der Glitzerstadt Las Vegas eine Rolle. Der
"plug-in range extended electric pickup" W15 mit BMW-Hilfsmotor, aus
Serienteilen clever von der Workhorse Group auf Basis eines Chevy
Silverado zusammengebaut, wurde erstmals vor knapp einem Jahr
gezeigt. Lithium-Ionen-Batteriezellen von Panasonic böten eine rein
elektrische Reichweite von 80 Meilen, während der eingebaute
Generator sich während der Fahrt auflade, "to get the job done",
heißt es im Amerikanischen. Er fuhr auch auf der CES in Las Vegas,
Electric Motor City, vor. Zielgruppe seien laut der Techfirma aus
Ohio vor allem fleet operators.