Mercedes gegen BMW und Audi und Tesla gegen alle. In der Welt der
Premium-Autos scheint ein permanentes Wettrennen im Gang. Für den
Wirtschaftsstandort sind solche Geschichten von Kampf und Konkurrenz
notwendig.
Elon Musk ist die Sphinx der Autobranche. Mit dem Unterschied, dass
der Gründer und Chef von Tesla Motors Incorporated diejenigen, die
seine Rätsel nicht verstehen, nicht gleich auffrisst. Kann er ja
nicht. Denn sein Publikum -Finanz-analysten, Journalisten und auch
die gleichsam verwirrte als auch durchaus beeindruckte Öffentlichkeit
-braucht er. Er will ja im Gespräch bleiben.
Wortreich hat er zuletzt der Welt draußen erklärt, warum der
kalifornische Elektro-Auto-Pionier im Vorjahr abermals 675 Millionen
Euro Verlust gebaut hat. Heerscharen von Analysten weltweit
versuchten aus seinem Sermon Hinweise herauszufiltern, wie es
wirklich weitergeht mit der Firma. Und dann macht folgende Analyse
die Runde durchsmediale globale Dorf: "Tesla wird das in drei Jahren
schaffen, wofür Porsche zehn Jahre gebraucht hat (...) Tesla hat das
Potenzial, nachhaltige Bruttomargen ähnlich den deutschen
High-End-Automarken zu erreichen und gleichzeitig schneller zu
wachsen als die aufstrebenden chinesischen Autohersteller." Das muss
Musk runtergehen wie Honigwein.
Geschrieben hat die Analyse ein Mitarbeiter des Investmenthauses
Evercore ISI. Also jemand, dessen Arbeitgeber an solchen Stories, wie
jene, die Musk seit Jahren erzählt, interessiert ist beziehungsweise
daran, dass sie jemand glaubt.
Psychedelische Story
Jim Cramer, der Moderator der Fernsehshow "Mad Money" auf dem
US-TV-Sender CNBC sagte unlängst, man müsse als Analyst "Drogen
nehmen, um auf einer Telefonkonferenz mit Elon Musk der ganzen
psychedelischen Geschichte folgen zu können". Bei der Vorstellung der
Fragen hat dann einer der Analysten gefragt, wann es denn so weit
wäre, dass der iPhone-Hersteller Apple Tesla kauft. "Ha!", war die
Antwort des 46-jährigem ehemaligen Internetunternehmers, dessen
Autofirma bisher noch nie auch nur einen Cent operativen Gewinn
abgeworfen hat. Ha! Es wäre kein Wunder, wenn er sich auch diese
Frage gestellt hätte.
Alteingesessene Hersteller unter Druck
Doch das ist keine Geschichte ausschließlich über Tesla und sein
Geschäftsmodell. Vielmehr geht es darum, was eine lautstark
getrommelte Story wie jene von und über Musk mit der gesamten
Industrie anstellt. Denn Tesla bringt alteingesessene US-Hersteller
in den Augen der Öffentlichkeit unter Druck, wenn der Neuling trotz
anhaltenderVerluste an den Börsen mehr wert ist als General Motors
und mehr wert als Ford, beides Unternehmen, die ein x-faches an
Output haben und damit durchaus Gewinne produzieren. Und sie bringen
auch die deutschen Hersteller unter Zugzwang. Technologisch ohnehin.
Autofahren ohne Emissionen direkt aus dem Auspuff ist ein Megatrend.
Angesichts der Smogglocken, die über chinesischen Metropolen hängen
und angesichts der Feinstaubalarmisten, die das Auto und den Diesel
für alles verantwortlich machen. Doch es geht nicht nur um die
Elektromobilität. Es geht um Geschichten. Heerscharen von
Dienstleistern sind nur mehr dazu da, professionelles Storytelling zu
praktizieren.
Eine Geschichte, die gerade im Trend ist: das Match um die
Oberklasse. Wie schnell ist Tesla dort, wo Porsche, Mercedes, BMW und
Audi sind?
Originelle Typen an der Spitze
Auch an der Spitze der deutschen Konzerne sitzen für diese
Geschichten gut geeignete originelle Typen. Dieter Zetsche, Chef der
Daimler AG, schreibe Rekord um Rekord, jubelt die deutsche
Wirtschaftspresse. Mit ernst dreinblickenden Augen über dem
charakteristischen Schnurrbart präsentiert Zetsche üblicherweise die
Zahlen seines Konzernes, stetsfast kokett auf der Euphorie-Bremse.
Elf Jahre nach seiner Bestellung zum Chef über den Stern und knapp
zehn Jahre nach dem Scheitern der "Hochzeit im Himmel", der Allianz
DaimlerChrysler, habe der in Istanbul geborene deutsche
Elektrotechniker sein großes Ziel bereits vorzeitig erreicht, heißtes dennoch. 2016 konnten die Stuttgarter erstmals mehr als drei
Millionen Fahrzeuge verkaufen.
Doch in derÖffentlichkeit am meisten besprochen wurde, dass die
Kernmarke mit dem Stern wieder am ewigen Konkurrenten aus München, an
der BMW-Gruppe, vorbeigezogen war. Das hätte Zetsche für 2020 geplant
gehabt, lautet die Story. Bereits Mitte 2016 hatte er nüchtern im
Interview mit der "Wirtschaftswoche"festgehalten: "Wir glauben, dass
wir BMW und Audi schon vor 2020 überholen können." BMW hatte Mercedes
2005 überholt und seitdem immer wieder ausgebremst, 2011 verlor man
auch gegen Audi.
Skandal ohne Auswirkungen
Nach Ablauf des Jahres 2016 stand das Match laut den firmeneigenen
Jahresberichten dann so: Die Marke Mercedes-Benz verkaufte 2.197.956
Pkw, die Marke BMW setzte 2.003.359 Pkw ab, die Volkswagen-Tochter
Audi kam auf 1.867.738 Auslieferungen. Alle drei mit Zuwächsen. Drei
Leitbilder der Deutschland AG sind gut unterwegs. Mercedes plus zehn
Prozent. BMW plus 5,2 Prozent. Audi plus 3,6 Prozent. War da nicht
irgendwann ein Diesel-Skandal? Kann nicht sein angesichts dieser
Verkaufszahlen. Die süddeutschen Autos tragen weiterhin die
Geschichte von der technischen Überlegenheit der deutschen Industrie
in die Welt. Davon lebt der gesamte Standort, inklusive dem
Zulieferland Österreich.
BMW-Chef Harald Krüger ist sozusagen das Gegenteil von Musk. Er
"liebt nicht den Auftritt vor großem Publikum", schreibt das
"Handelsblatt". Der Zeitung hat Krüger nämlich "einen konkreten Plan"
gesteckt, "mit dem er Mercedes den Titel der erfolgreichsten
Premiummarke abjagen will". Im Mittelpunkt der "MünchenerOffensive"
stünden 40 neue überarbeitete Modelle, die bis Ende 2018 auf den
Markt kommen sollen, heißt es. Die Produktionskapazität solle auf
drei Millionen Einheiten pro Jahr bis 2022 ausgebaut werden. Die
Metapher von Wirtschaft als Kampf, Krieg, Konflikt, Offensiven.
Daimler und VW planen natürlich ähnliches, die für viele Kunden kaum
mehr fassbare Vielfalt wird nicht zurückgehen. Im Gegenteil.
Premium-Segment wächst
Klassische Segmente mögen im Automarkt an Bedeutung verloren haben,
die Premium- Segmente wiederum boomen. Die Oberklassehersteller, die
vor Jahrzehnten eigentlich nur mit Stufenheck-Limousinen assoziiert
worden sind, bieten heute eine bisher nicht gekannte Modellvielfalt,
sind mit Fahrzeugen aller Größen auf dem Markt. Experten schätzen,
dass es heute im Vergleich zu 1990 vier Mal so viele
Karosserievarianten gibt. Die weltweite Automobilproduktion hat sich
seit damals ungefähr verdoppelt - aus. Daimler und BMW sind noch
immer keine Massenproduzenten, aber sie sind auf Platz 11 und 12
weltweit. Davon ist Tesla noch weit entfernt. Wenngleich die mediale
Aufmerksamkeit genau so groß ist wie bei den etablierten Herstellern.
Inszenierter Titelkampf
Differenziertes Marketing dominiert und deckt heute Autos aller
Größen und Einsatzzwecke ab. Die konsequente sowie atemlose
Kommentierung dieses Rennens um die Nummer 1 gehört zur neuen Art der
Kommunikation. Die Werke wollen die Kunden entlang sämtlicher
analoger und digitaler Kanäle erreichen. Da kommt diese inszenierte
Meisterschaft gerade recht. Geht es beim Geschichtenerzählen am
Lagerfeuer, beim Frühstück, am Stammtisch oder auf Facebook und
Twitter letztlich immer nur um zwei Aspekte: um Information und um
Unterhaltung.